Journal Club: Validierung von Raman-Spektroskopie zur Gehaltsbestimmung in Tabletten

Geschrieben von Dr. Janet Thode Veröffentlicht in Methodenvalidierung

Die unterschiedlichen Techniken der Raman-Spektroskopie finden vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in den verschiedenen Bereichen der pharmazeutischen Industrie, sei es zur Detektion von Fälschungen, als In-Prozess-Kontrolle (IPK) bei der Herstellung des Wirkstoffs, für Gehaltsbestimmungen, als ID-Test für Vakzine, zur gleichzeitigen Bestimmung mehrerer Produktqualitätsattribute (PQAs) im Zuge einer schnellen Freigabe-Strategie bis hin zu Sterilitätsprüfungen, um nur einige Beispiele zu nennen [1-4].

Und auch für die Methodenvalidierung existieren die unterschiedlichsten Konzepte, je nach Gusto und regulatorischen Vorgaben [5], wie beispielsweise mittels „accuracy profile“ [6]. Im heutigen Blogbeitrag wollen wir jedoch einen Blick auf die (noch) klassische Methodenvalidierung gemäß der Richtlinie für Methodenvalidierung ICH Q2(R1) werfen und haben dafür die Publikation von Li et al. über eine Transmissions-Raman-spektroskopische (TRS) Methode zur Gehaltsbestimmung von Niacinamid-Tabletten unter die Lupe genommen.

 

Testprinzip der analytischen Methode und Hintergründe

Die Raman-Spektroskopie gehört zu wie die Infrarotspektroskopie zu den schwingungsspektroskopische Analysenmethoden, wobei die Wechselwirkung des Lichts mit der Materie Einblicke in die Eigenschaften des untersuchten Materials ermöglicht. Bei der Raman-Spektroskopie wird die Probe von einem Laser mit monochromatischem Licht bestrahlt. Beim Auftreffen des Lichts auf das Material der Probe wird das Licht gestreut, wobei der größte Teil des Lichts der eingestrahlten Wellenlänge unverändert bleibt (= elastische Streuung / Rayleigh-Streuung), ein sehr kleiner Teil jedoch seine Wellenlänge verändert (unelastischen Streuung / Raman-Streuung). Diese Emission von Licht anderer Wellenlänge beruht auf der Interaktion der Photonen des Lichts mit den Molekülen der Probe, wobei entweder Energie vom Licht auf die Materie übertragen wird oder andersrum. Diese Energieübertragung resultiert in der Verschiebung der Wellenlänge des gestreuten Lichtes gegenüber dem eingestrahlten Licht, da die Wellenlänge von der Energie des Lichts abhängig ist. Die Auftragung der Intensität des unelastisch gestreuten Lichts gegen die Energieänderung (Frequenzunterschied / Raman-Shift, angegeben in Wellenzahlen) ergibt das Raman-Spektrum.

Im Gegensatz zur verbreiteten rückstreuenden Raman-Spektroskopie bietet die Transmissions-Raman-Spektroskopie aufgrund des Durchtritts des Lasers durch die komplette Probe (anstatt nur auf eine kleine punktuelle Oberfläche zu treffen) den Vorteil, eine repräsentative Aussage über die gesamte Probe machen zu können und somit auch unempfindlich gegenüber Oberflächenbeschichtungen zu sein.

Zur Datenauswertung können verschiedene chemometrische Techniken der multivariaten Datenanalyse, wie beispielsweise die partielle kleinste-Quadrate-Regression (PLSR), zum Einsatz kommen. Darunter versteht man ein statistisches Verfahren, das ein Vorhersagemodell für lineare Daten generiert. Es wird eine Regression von vielen x-Variablen (hier: ein Spektrum mit vielen Wellenlängen) auf eine (oder mehrere) y-Variable (Zielgröße, hier: Gehalt) berechnet. Dabei wird jedoch nicht der ursprüngliche gemessene Datensatz verwendet, sondern die x-Daten werden in Hauptkomponenten zerlegt, wobei auch schon die Antwortvariable Y miteinbezogen wird… Wem das zu statistisch klingt, dem sei gesagt, das geht mir auch so ???? Fazit: Gute Technik zur Modellierung der Beziehung (à Kalibrierung) zwischen Spektralmessungen und einer Zielgröße wie z.B. der chemischen Zusammensetzung oder dem Gehalt. In der Arbeit hier wurde die Kalibrierung mit Kalibrierungsproben vorgenommen, von denen sowohl die Raman-Spektren aufgenommen wurden als auch ihr jeweiliger Niacinamid-Gehalt mittels HPLC als Referenzmethode bestimmt wurde. Im Zusammenhang mit PLSR sollten noch die beiden Abkürzungen RMSEP und RMSEC erwähnt werden. Sie stehen für die Wurzel des mittleren quadratischen Prognose- bzw. Kalibrierfehlers (root mean square error of prediction bzw. calibration) und sind Maße für die Güte des Modells analog der RSS bei der normalen linearen Regression. RMSEP gibt Auskunft über die Vorhersagefähigkeit des Modells.

Zur Abdeckung einer hohen Variabilität wurden die Kalibrierungsproben gemäß den Prinzipien der statistischen Versuchsplanung (design of experiments, DoE) hergestellt. DoE ist eine strukturierte Vorgehensweise, um die Beziehung zwischen vielen Einflussgrößen eines Prozesses (hier: Analysenmethode) und ihren Ergebnissen effizient zu untersuchen und somit anhand der Ursache-Wirkungs-Beziehung aus einer Vielzahl von Parametern nur die für den Prozess wirklich relevanten Einflussfaktoren zu bestimmen. Im Gegensatz zur OFAT (one factor at a time)-Methode werden bei der DoE verschiedene potenzielle Einflussfaktoren gleichzeitig geändert. In der hier vorgestellten Arbeit wurde ein vollständiger 3 Faktoren-3 Level Versuchsplan (3-by-3 full factorial design) für die Herstellung der Kalibrierungsproben angewandt. Dabei wurden 3 Konzentrationen des Wirkstoffs (drug substance, DS) Niacinamid (80-120%) und 3 Konzentrationen des wichtigsten Hilfsstoffs mikrokristalline Zellulose (MCC) berücksichtigt sowie 3 Konzentrationen relativer Luftfeuchtigkeit und 2 Kompressionskräfte bei der Tablettenherstellung (à Tablettenhärte).

 

Analytische Methodenvalidierung und Diskussion

Vorbemerkung

Neben den bereits angesprochenen Kalibrierungsproben (n = 100: 90 lab-scale + 10 production-scale) wurden weitere, unabhängige „Sets“ an Tabletten mit unterschiedlichen Charakteristika für unterschiedliche Zwecke hergestellt. So wurde mit einem Set an „Test-Proben“ (n = 36, lab-scale, DS- und MCC-Konz.: je 90-110%) das mit den Kalibrierungsproben aufgestellte Auswertemodel überprüft. Zur Evaluierung der Spezifität wurde ein „Spezifitäts-Set“ (n = 16, lab-scale, DS-Konz.: 90-110%) hergestellt, dem zusätzlich das Zersetzungsprodukt Niacin beigefügt war. Das letzte Set bildet das „Validierungs-Set“ (n=34, production-scale, DS-Konz.: 85-115%), wobei die DS-Konzentration über den von der USP für Niacinamid-Tabletten vorgeschriebenen Bereich von 90-110% aufgeweitet wurde.

Spezifität

Zur Evaluierung der Spezifität wurden einerseits die Raman-Spektren der „Spezifitäts-Set“-Tabletten mit dem Raman-Spektrum von reinem Niacinamid verglichen und visuell eine hohe Übereinstimmung festgestellt. Auf der anderen Seite zeigt ein Vergleich der Raman-Spektren von zwei Variablen des PLSR-Modells einen deutlichen Unterschied zum Zersetzungsprodukt Niacin. Des Weiteren indiziert RMSEP mit 4,31% eine gute Vorhersage für Niacinamid auch in Gegenwart von Niacin.

Präzision

Zur Untersuchung der Präzision wurden je 6 Tabletten jeder Konzentration des Validierungs-Sets (85%, 100%, 115%) verwendet. Bei der Wiederholpräzision wurden 2 Aspekte untersucht: ohne und mit Positionsveränderung. Hinter „Positionsveränderung“ verbirgt sich das Umdrehen der Tablette im Probentray sowie eine veränderte Angabe der Koordinaten für den Belichtungspunkt des Lasers auf der Tablette. Für die interne Laborpräzision wurde die Analyse ohne Positionsveränderung an einem zweiten Tag von einem anderen Analysten durchgeführt. Zur Auswertung wurde die relative Standardabweichung (relative standard deviation, RSD) für jedes Konzentrationslevel bei allen 3 Untersuchungen berechnet und Werte von unter 2% erhalten. Leider sind die Rohdaten nicht gezeigt und die zugehörige Tabelle gibt n = 6 an, so dass nicht hervorgeht, ob die interne Laborpräzision wirklich alle 12 Ergebnisse (6 von Tag 1 und 6 von Tag 2) berücksichtigt oder sich nur auf die Ergebnisse von Tag 2 bezieht und damit eigentlich nur eine erneute Wiederholpräzision darstellt…

Linearität

Die Linearität wurde mit 5 Konzentrationen evaluiert, wie es die Richtlinie ICH Q2(R1) für Methodenvalidierungen fordert. Interessanterweise wurden dafür in dieser Arbeit jedoch die Daten des Kalibrier-Sets zusammen mit entweder den Daten des Test-Sets oder des Spezifitäts-Sets oder des Validierungs-Sets verwendet. Alle schließen den für Assays geforderten Bereich von 80-120% ein, wobei dies allerdings auf den Daten des Kalibrier-Sets beruht. So wirklich unabhängig ist dieses Vorgehen nun nicht gerade…Eigentlich hätte ich mir in diesem Fall eine neue Untersuchung mit 5 Konzentrationen eines Validierungs-Sets gewünscht, was einen Bereich von 80-120% abdeckt und wo der Gehalt der Validierungsproben auf Basis des anhand der Kalibrierdaten aufgesetzten PLSR-Models bestimmt werden würde… Das Bestimmtheitsmaß R2 für die gezeigten Geraden reicht von 0,93 (Kali.- + Spez.-Set), 0,95 (Kali.- + Test-Set), 0,96 (3-Punkt Kalibrier-Set) bis zu 0,98 (Kali.- + Val.-Set). Ein gutes Ergebnis versprechende Residuen-Plots werden in der Publikation erwähnt, sind aber leider nicht dargestellt.

Richtigkeit

Zur Bestimmung der Richtigkeit wurden keine eigenen Experimente durchgeführt, sondern es wurde auf die Daten der Linearität zurückgegriffen und ein Blick auf RMSEC und RMSEP sowie auf den Parameter „Bias-Pred“ der 4 Datensätze (Kalibrier-Set, Kali.- + Test-Set, Kali- + Spez.-Set, Kali.- + Val.-Set) geworfen. Die RMSEs sind alle geringer als 5%, was eine sehr gute Modellierung anzeigt. „Bias-Pred“ ist nicht näher erläutert, aber die Bezeichnung lässt vermuten, dass es sich dabei um den systematischen Fehler bei der Vorhersage des Modells handelt. Auch hierfür wurden sehr niedrige Werte von max. 2,1% beobachtet, was auf eine sehr gute Richtigkeit des PLSR-Modells hinweist.

Da leider, wie bereits oben erwähnt, bei den Präzisionsexperimenten die bestimmten Gehaltswerte in der Publikation nicht gezeigt sind, lässt sich die Richtigkeit nicht selber daraus zurückrechnen...

Robustheit

In der Einleitung der Publikation werden Fluoreszenz / Photobleaching, Tablettendicke und Temperatureffekte als Einflussfaktoren für die Variabilität von Transmissions-Raman-spektroskopischen Analysen genannt. Im Zuge der Evaluierung der Robustheit wurde hier jedoch nur der Aspekt des Photobleachings näher in Augenschein genommen. Ein Verzicht auf eine Untersuchung zu unterschiedlichen Tablettendicken könnte dadurch gerechtfertigt werden, dass bei der Produktion unter GMP-Bedingungen mit annähernd ähnlichen und nur gering schwankenden Tablettendicken gerechnet werden kann. Warum aber unterschiedliche Temperatureffekte nicht untersucht wurden, erschließt sich mir auf den ersten Blick nicht. Möglicherweise, obwohl hier im akademischen und daher nicht kontrollierten Umfeld durchgeführt, mag den Autoren die spätere Anwendung unter kontrollierten Temperaturbedingungen, wie sie in pharmazeutischen Laboren üblich ist, im Hinterkopf gewesen sein… Aber zurück zum Photobleaching: Dafür wurde eine Tablette (mit nicht angegebener DS-Konzentration) 20x nacheinander mit einem Laser bestrahlt und die 20 Spektren aufgenommen. Visuell wurde mit zunehmender Bestrahlung eine leichte Veränderung in der Basislinie der Raman-Spektren beobachtet. In einer weiteren Abbildung wurde der bestimmte Niacinamid-Gehalt einer Tablette (unklar ob es sich dabei um die vorherige handelt) in Abhängigkeit der Anzahl der durchgeführten 20 Scans dargestellt und es ist erkennbar, dass der Gehalt um ca. maximal 1% von der Zielkonzentration abweicht, also kein negativer Einfluss eines Photobleachings bei 20 Scans auf das analytische Ergebnis von Probenmessungen besteht. Warum hierbei die Zielkonzentration der DS dieser Tablette jedoch 36% beträgt anstatt 40%, was als 100%-Level beim DoE angenommen wurde, kann ich nicht so ganz nachvollziehen…

Fazit

Die Transmissions-Raman-Spektroskopie bietet sich - neben dem Einsatz in der Freigabeanalytik - besonders als stabilitätsanzeigende Methode im Zuge von Stabilitätsstudien von Arzneimitteln an, da sie als zerstörungsfreie Technik wiederholte Messungen der gleichen Probe zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglichen würde und somit zur Einsparung einer Vielzahl an Stabilitätsproben beitragen könnte.

Das grundsätzliche Vorgehen der hier beschriebenen PLSR-Modellierung mit Kalibrierungsproben, dessen Fine-Tuning mit Testproben und anschließender Validierung unter Berücksichtigung einer Referenzmethode entspricht sogar den aktuellen Überlegungen zu multivariaten analytischen Methoden des Entwurfs der ICH Q2(R2), wenngleich allerdings auch einige Schwachstellen der hier publizierten Untersuchungen anzumerken sind:

  • Keine Verwendung eines komplett neuen Probensatzes für die Validierung, sondern Vermischung der Kalibrierungs- und Validierungsprobensätze
  • Untersuchung der Robustheit an nur einer einzigen Tablette - Keine Untersuchung der Spezifität mit gestressten Proben, was für eine stabilitätsanzeigende Methode wünschenswert gewesen wäre
  • Unklare oder fehlende Datendarstellung (à interne Laborpräzision, Residuen-Plots)
  • Offensichtlicher Fehler in der Legende einer Abbildung
  • es ist nicht ersichtlich, ob Akzeptanzkriterien definiert wurden

Davon abgesehen sind alle von der Richtlinie ICH Q2(R1) für Methodenvalidierungen geforderten Validierungsparameter für einen Assay (mehr oder weniger, s.o.) abgedeckt worden. Des Weiteren ist die Publikation sehr gut verständlich und anschaulich erklärt geschrieben, so dass es Spaß gemacht hat, sich mit Raman-Spektroskopie, PLSR und DoE zu beschäftigen.

 

Referenzen

[1] Ren J., Shijie M., Lin J., Xu Y., Zhu Q., Xu N. (2022) Research Progress of Raman Spectroscopy and Raman Imaging in Pharmaceutical Analysis, Curr Pharm Des, epub

[2] Silge A., Bocklitz T., Becker B., Matheis W., Popp J., Bekeredjian-Ding I. (2018) Raman spectroscopy-based identification of toxoid vaccine products, NPJ Vaccines (3), p.50

[3] Wei B., Woon N., Dai L., Fish R., Tai M., Handagama W., Yin A., Sun J., Maier A., McDaniel D., Kadaub E., Yang J., Saggu M., Woys A., Pester O., Lambert D., Pell A., Hao Z., Magill G., Yim J., Chan J., Yang L., Macchi F., Bell C., Deperalta G., Chen Y. (2022) Multi-attribute Raman spectroscopy (MARS) for monitoring product quality attributes in formulated monoclonal antibody therapeutics, MAbs 14(1), p.2007564

[4] Grosso R.A., Walther A.R., Brunbech E., Sørensen A., Schebye B., Olsen K.E., Qu H, Hedegaard M.A.B., Arnspang E.C. (2022), Detection of low numbers of bacterial cells in a pharmaceutical drug product using Raman spectroscopy and PLS-DA multivariate analysis, Analyst, epub

[5] Wulandari L., Idroes R., Noviandy. T.R., Indrayanto G. (2022) Application of chemometrics using direct spectroscopic methods as a QC tool in pharmaceutical industry and their validation, Profiles Drug Subst Excip Relat Methodol (47), p.327-379

[6] Mansouri M.A., Sacré P.Y., Coïc L., De Bleye C., Dumont E., Bouklouze A., Hubert P., Marini R.D., Ziemons E. (2020) Quantitation of active pharmaceutical ingredient through the packaging using Raman handheld spectrophotometers: A comparison study, Talanta (207), p.12030